Dienstag, 26. Juni 2007

Ein Gemälde mit Geschichte

Wenn man in Archiv des Erzbistums Wien die beiden langen Flure entlanggeht, an denen die Büros liegen, sieht man an den Wänden unzählige Portraits von Päpsten und Wiener Erzbischöfen, bzw. Fürsterzbischöfen, wie sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts korrekt hießen. Streng genommen war Kardinal Piffl der letzte Fürsterzbischof, aber sein Nachfolger Innitzer führte den Titel noch. Das Archiv befindet sich in dem Gebäudekomplex am Stephansplatz, in welchem man auch das erzbischöfliche Palais findet.

Vor und in diesem Palais kam es am 7. und 8. Oktober im Jahre 1938 zu wüsten Szenen. Deren Vorgeschichte mit der "Feierlichen Erklärung" des österreichischen Episkopats, der Volksabstimmung, dem "Anschluß" und den unmittelbar darauf folgenden Repressalien gegen katholische Verbände und Organisationen ist unter anderem bei Maximilian Liebmann in "Theodor Innitzer und des Anschluß" fein recherchiert nachzulesen. Am 7. Oktober fanden sich abends um 20:00 Uhr zwischen 7.000 und 10.000 Jugendliche zum traditionellen Rosenkranzfest im und vor dem Stephansdom ein. Sie alle waren bereits einigermaßen desillusioniert, waren doch die katholischen Jugendverbände mit als erste den neuen Machthabern zum Opfer gefallen. Theodor Kardinal Innitzer, der Wiener Fürsterzbischof hielt an diesem Abend eine Predigt, in der er den jungen Männern und Frauen einschärfte, was sie wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt größtenteils ohnehin längst wussten:
    "Liebe katholische Jugend! Ihr habt in den letzten Monaten viel verloren. Eure Verbände, Eure Jugendgemeinschaften, die ihr mit einem so schönen Idealismus aufgebaut hattet, sind nicht mehr da. Eure Fahnen - Ihr dürft sie nicht mehr tragen. Ihr habt aber auch etwas gewonnen, was noch mehr wert ist, als was Ihr jetzt verloren habt und was all das überdauern kann und muß, etwas, was wir alle eigentlich selbst gleichsam neu entdeckt haben, das ist unsere Pfarre, das ist die Gemeinschaft, die wir haben als Katholiken in der kleinen Gemeinschaft der Pfarre und in der größeren der Kirche, unsere Gemeinschaft der Kinder Gottes - und wenn man uns das eine nimmt, dann greifen wir auf das andere zurück, und wir lassen uns nicht entmutigen. Das Erste, meine liebe katholische Jugend: Steht treu zu Eurer Pfarre, Eurem Pfarrer und allen seinen Mitarbeitern, den Pfarrseelsorgern und lebt mit ihnen in einer lebendigen Pfarrgemeinde und laßt Euch durch gar nichts beirren. Diese sind Euch gute Freunde und sie beten und opfern für Euch und führen Euch. Sie wollen Euch Kraft und Führer sein zum wahren christlichen Leben."

    "Wir wollen grade jetzt in dieser Zeit umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König und zu seiner Kirche."
Klar, daß bei diesen Worten die Anhänger eines anderen Führers unruhig wurden. Unifomierte HJ-ler pöbelten schon während der Feier herum und lieferten sich auch danach Wortgefechte mit den katholischen Jugendlichen. Kirchlicherseits hatte man gehofft, die Jungen und Mädchen begäben sich nach der Feier sofort und zügig nach Hause. Aber die Predigt des Kardinals hatte den Jugendlichen neue Hoffnung und Kraft verliehen. Und so versammelten sie sich vor dem erzbischöflichen Palais und riefen :"Wir wollen unseren Bischof sehen!" Kardinal Innitzer, der eigentlich den Ball etwas flacher hatte halten wollen, erschien schließlich auf dem Balkon, zog ein weißes Taschentuch, winkte der Menge zu und bat sie dann mit Gesten, nach Hause zu gehen. Die katholische Jugend stimmte das "Großer Gott, wir loben Dich" an, versammelte sich auf dem Domplatz, klatschte hier und da einen meckernden HJ-ler weg und skandierte abgewandelte Nazi-Sprüche wie "Ein Volk, ein Reich, ein Bischof". Ein Augenzeuge sprach von einem "... emotionalen Ausbruch, bei dem der Verstand nicht mehr zählte."

Vielleicht hätte verstandgesteuertes Handeln das Chaos des folgenden Tages abwenden oder schmälern können. Andererseits hätte der Nazi-Mob sicherlich auch irgendeinen anderen Anlaß gefunden. Und manchmal tut es auch einfach gut, dem Herzen zu folgen. Auch wenn der Preis hoch sein kann: Am 8. Oktober 1936 stürmten etwa 100 Jugendliche und junge Erwachsene das erzbischöfliche Palais und stürzen sich in die Wohn- und Amtsräume des Kardinals. Innitzers Sekretär Weinbacher, der sich mit zwei Priestern in die Hauskapelle geflüchtet hatte, berichtet:
    "Nachdem wir den ersten Trupp abgewehrt haben, öffnen wir den Tabernakel und konsumieren die hl. Hostien, um das Allerheiligste vor Verunehrung zu schützen. Inzwischen geht in den übrigen Räumen eine Zerstörungswut, die nicht zu beschreiben ist, gegen alle Einrichtungsgegenstände vor sich. Mit den Messingstangen, die den Teppich des Stiegenhauses halten, zerschlagen die Burschen Tische und Stühle, alle Luster und die wertvollen Ölgemälde, besonders alle Kreuze. Die Spiegeltüren der Kapelle, die großen venezianischen Spiegel, die Glastüren der schönen, alten Bücherschränke, alles wird kurz und klein geschlagen."
Der Mob gewinnt schließlich auch in der Kapelle die Oberhand und versucht, Weinbacher aus dem Fenster zu werfen. Der Sekretär kann sich aber losreißen. Kurz darauf erscheint die Polizei. Die Jugendlichen können ungehindert das Palais verlassen.

Kardinal Innitzer wird aus dem Archiv, in dem man ihn hinter schweren Eisentüren in Sicherheit gebracht hatte, geholt und kann sich ein Bild vom Schaden machen. Nicht nur war die Einrichtung des Palais gründlich zerstört worden, man hatte dem Kardinal auch den größten Teil der bischöflichen Kleidung und Insignien, sowie Geld und diverse Privatgegenstände gestohlen. Auf dem Bild seht ihr den Kardinal irgendwann nach dem Sturm auf das Palais vor einem zerschnittenen Gemälde stehen, welches ihn in der Chorkleidung zeig.

Auch im Dompfarrhaus wurde gewütet. Dort warf man den Domkuraten Krawarik durch ein Fenster aus dem ersten Stock auf die Straße. Er landete auf einem Sandhaufen, brach sich beide Oberschenkel und eine Kniescheibe.

Von nun an ging's bergab. Der Klerus im allgemeinen und Kardinal Innitzer im besonderen wurden schon am 13. Oktober von Gauleiter Bürckel in einer Hassrede auf dem Heldenplatz als Volksfeinde Nummer einskommafünf hingestellt. Der Pöbel dankte es ihm und marschierte noch am selben Tag am Palais vorbei, wobei auf den mitgeschleppten Plakaten Sätze zu lesen waren wie "Die Pfaffen an den Galgen", "Zwei, drei, vier... Innitzer krepier" oder "Innitzer und Jud, eine Brut". Überhaupt bekam die Kirche Österreichs von da an die staatliche Unterdrückungspolitik mit voller Wucht zu spüren, wovon ja auch das Stift Klosterneuburg ein Lied singen kann.

Zurück ins Archiv des Erzbistums Wien: Viele der Gemälde, die dort auf den Fluren hängen, weisen Schäden in der Leinwand auf, die immer gleich aussehen. Es sind Messereinstiche, den Kunstwerken beigefügt am 8. Oktober. Zum Beispiel dieses Portrait von Innitzers Vor-Vorgänger Kardinal Nagl:


Das dunkle Zipfelchen auf dem weißen Pelzteil der Cappa Magna ist nicht etwa ein einsames Hermelinschwänzchen, das sich dorthin verirrt hat, sondern ein Messereinstich. Auch der über der rechten Hand des Kardinals zu sehende Schaden stammt vom 8. Oktober. Wie gesagt tragen viele der Portraits im Archiv noch Spuren der HJ-Zerstörungswut. Sie alle sind, wie ich mir sagen ließ, nicht restauriert worden, weil man sie als eine Art Mahnung betrachtet. Naja, wenn's denn was nutzt...

Keine Kommentare: