Freitag, 7. September 2007

Die Nacht davor

Ein Sturm ist vorbei. Das dünne Nass lässt die Gehwegplatten unheimlich glitzern, die Lichter einer schlafenden Großstadt spiegeln sich in ihnen – Lichter von Autos, die vorüberziehen, ausgestorbene Schaufenster, die wie Bildschirme in die Nacht strahlen, Straßenlaternen. Winzige, zu Matsch verschmolzenen Sandkörner knirschen unter meinen Schuhsohlen, während ich die Kärntner Straße entlang schlendere, nichts im Sinn, nur meinen Blick streifen lassend. Es ist still, nur ein kurzes Murmeln hie und da, ein kurzes auflachen, dann wieder Stille, nur das nasse Rauschen von Autos in der Ferne. Es ist eine seltsame Spannung in der Stadt, wie Elektrizität schnallst sie um jede Ecke, aufgeladen, und die Straßen, der Graben, der Stephansplatz sind wie Kondensatoren. Sie speichern die Energie, fressen sie in sich hinein – sind gespannt, bis zum zerreißen – bis sie explodieren, in einem ohrenbetäubenden Schreien aufspringen und alles in feurigen Jubel herauslassen, alle Anspannung in gleichmäßigen, rufenden Stößen absondern: „Be-ne-detto!“

Seltsam diese Nacht vor dem Papstbesuch, die nassen Straßen sind bevölkert von kleinen Grüppchen mit Menschen die alle gleich aussehen, mit einem Schild um den Hals, der erkennen lässt dass sie zu einer Konferenz hier sind. Aus jeder Gasse scheint eine kleine Gruppe zu strömen, mit einer Karte in der Hand um Orientierung ringend. Ob sie wissen, was sie in den nächsten Tagen hier erwarten wird?

Riesige Gerüste sind vor den U-Bahneingängen am Stephansplatz aufgebaut, in den Videowände hängen. Lautlos flackert das ORF-Programm in ihnen und wirft angrenzenden Häuser in ein bläulich kaltes, dann wieder in rot warmes Licht. Von hier wird uns der Papst zu lächeln, trotz seiner Verkühlung. Der alte Dom scheint nichts davon zu ahnen, obwohl die Orgel ihn heute erben ließ, als hunderte Ministranten während der Generalprobe für die Sonntagsmesse mit dem Papst andächtig durch das Mittelschiff schritten, immer mit einem verschmitzten Blick auf die Monitore an den Säulen, um zu kontrollieren ob die Fernsehkameras ein Bild von ihnen machen würden. Der kleine steinerne Mann an der linken Ecke des Riesentors starrt dennoch weiter, wie jeher, mit seiner flachen Hand über den Augen, um seinen Blick vor blendenen Licht zu schützen, in die Ferne, irgendwo hin, als würde er auf jemanden warten, um, wenn er kommt, herabsteigen und ihn begrüßen zu können.

An der Kirche am Hof ist ein gewaltiges Sonnedach aufgezogen, auf das noch ein paar Tropfen trommeln. An der Rückwand kann man das Papstwappen erkennen. Prächtiger Blumenschmuck schwankt im Wind, eine Folie, die den Ambo abdeckt flattert geräuschvoll. Absperrgitter auf dem Platz davor unterteilen einsam das Nichts und sehen dabei aus wie ein durchsichtiges Labyrinth aus dem es kein Entkommen gibt. Kein Mensch ist zu sehen. Stille, plötzlich glaube ich aber ein Rufen zu hören – viele Rufe, Jubel. Auch hier flackern die Videowände in die Nacht, dessen Lichter in den Regentropfen funkeln und so zu erkennen geben, dass ganze Schnüre zu Boden prasseln – es regnet wieder. Und auch hier glaube ich plötzlich den Heiligen Vater auf den Bildschirmen zu sehen – es ist nur eine Ahnung, eine Ahnung der nächsten Tage.
Ich drehe den Schlüssel um, betrete meine Wohnung und schließe die Tür. Hier stehe ich. Kein Licht leuchtet. Es ist dunkel.

Ich hatte die Freude, ihn einmal in Regensburg zu sehen. Dieses Sehen, in seiner Nähe sein, ist mit einem äußerst seltsamen Gefühl verbunden. Eines, dass sich nun wiederholt, vielleicht sogar in viel stärkerem Ausmaß, denn, man könnte es als ein Lebenshöhepunkt beschreiben (diese emotionale Feststellung ist auch Teil dieses Gefühls), der Papst, der Heilige Vater kommt nach Wien. Dessen aber nicht genug, darf ich ihm wohl begegnen. Es ist eigentlich unglaublich, unbeschreibbar und ich müsste sogleich jubelnd auf und ab hüpfen, aber irgendwie, auch wenn ich es innerlich auf eine Art doch tue, ist diese Sache auch mit einer Wut verbunden. Komisch, nicht wahr? Und man fragt sich, worauf, wogegen und ich weiß die Antwort selbst nicht recht. Dies Gefühl ist derart paradox, dass es mich gar zeitweise dazu treibt, sich vorzustellen kein Katholik zu sein, kein, fast fanatischer Bewunderer des Hl. Vaters zu sein. Viel lieber wäre ich hin und wieder wie einige meiner Kommilitonen, die sich einen Dreck um diese ganze Sache scheren, sie interessieren sich kein Stück dafür und gehen; statt sich auf den Besuch des Papstes vorzubereiten, sich einem seltsamen Konkurrenzkampf ausgesetzt zu sehen, den man sich selbst schwer enthalten kann, stattdessen gehen sie ruhigen Gewissens ins Kino, lassen sich vermutlich auch morgen und am Sonntag dieses historische Ereignis entgehen. Warum? Ich bin fast neidisch, mit welcher Leichtigkeit sie dies an sich vorüberziehen lassen können.

Möglicherweise bin ich also auf mich wütend, vielleicht aber auch auf sie, wahrscheinlich aber auf die ganze angespannte, hochgezüchtete, hochegoistische Situation, in der sich jeder in den Mittelpunkt, zum Papst, zu rücken sucht, ich leider auch. Wahrscheinlich bin ich doch auf mich wütend, denn wie gerne würde ich der Sache entspannt begegnen. Aber es liegt ja leider nicht nur an mir, sondern auch an der ganzen Event-tisierung des Besuches, was den historischen Druck verstärkt. Dieser historische Druck ist ein ganz persönlicher, den vielleicht nicht nur ich mir mache. Es ist ein Druck, der mich dazu drängt nichts zu verpassen, möglichst nah an der Historie dran zu sein, ja, der drängt selbst Geschichte bzw. Teil dieser Geschichte zu werden. Es ist ein Drang zur Historie und damit zu einer historischen Person, die der Papst zweifelsfrei ist. Und dieser Drang zur Historie, also selbst Geschichte zu werden ist natürlich zutiefst mit einem anderen Drang, nämlich mit dem zur Unsterblichkeit, oder wie man in der Stadt Freuds sagen würde, mit dem Selbsterhaltungstrieb (der in Wahrheit das Gleiche ist) verbunden. Es ist also ein allzumenschlicher Drang, der leider viel zu oft vergessen lässt, dass wir schon zur Unsterblichkeit hin erlöst sind und das jeder andere Weg und Versuch zur „historischen Unsterblichkeit“ letztlich zum Scheitern verurteilt ist. Und es ist ein Drang, der immer wieder auftaucht, ein Drang sich auch im Alltag, nicht nur bei derart großen Ereignissen, zu profilieren, sich abzuheben, besonders, unvergeßlich, stark verkürzt gesagt, unsterblich zu werden.

Mman sieht hier nun, das solche großen Ereignisse, wie ein Papstbesuch, einen, überraschenderweise trotzt allem, auf sich selbst zurückwerfen. Und das nicht nur irgendwie, sondern auf existenzielle Art und Weise.

Erinnern wir uns unserer zugesicherten Unsterblichkeit in Fülle, der Gewissheit, dass wir nichts verpassen können, da wir doch im Vater alles haben und immer haben werden, dann können wir, kann ich diesem Besuch ohne Angst und völlig entspannt erwarten und erleben. Und möglicherweise ziehe ich mich dann, wie schon in Regensburg, gerade in dem Moment in Stille vor das Allerheiligste zurück, wo der Heilige Vater um die Ecke biegt, Massen ihm zu jubeln und ich ihm eigentlich zum greifen nah sein könnte.

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